Langtang: Das Tal der traurigen Geschichten und schönen Begegnungen.

28.10.2022, Patricia Zenger

«Namaste Switzerland», ruft es aus der dunklen Küche des Woodland-Guesthouses. Das wohl schönste Lachen im Langtang Valley und das strahlende Gesicht von Chukhi treten durch die niedrige Türe ins Freie. Nach einem kurzen Schwatz und einem Nepali Tea mit unserer Busbekanntschaft ziehen wir weiter. Unser Trekking Ziel ist Kyanjin Gompa, das hinterste Dorf im Tal auf knapp 4000m.

So schön die Aussicht auf die 7000er des Himalayas, so abwechslungsreich die Wanderung vom Dschungelwald durchs Buschland rauf zu den kargen Wiesen und grasenden Yaks ist, so traurig sind die Geschichten der Talbewohner. In jeder Lodge erzählen uns Väter, Mütter, Kinder vom Verlust ihrer Liebsten bei der 2015 durch das verheerende Erdbeben ausgelösten Lawine aus Eis und Geröll, die das gesamte Dorf Langtang wegfegte und unter sich begrub. Ungefragt erzählen uns die Überlebenden ihre herzergreifenden Geschichten. Zumeist starben alte Männer und Frauen, die zur Zeit des Erdbebens auf den Feldern oder in den Häusern arbeiteten. Viele Väter und Mütter überlebten, weil sie an diesem letzten Feiertag ihre Kinder zum Bus brachten in Richtung Schule in Kathmandu. Die Lawine kam am 25. April 2015 um 11.56 Uhr. 310 Menschen, Einheimische und Touristen starben. Mit den älteren einheimischen Toten starb auch der grösste Teil des Wissens über den Buchweizenanbau, die Müllerei, die Schafzucht, das Schreinerhandwerk und die Weberei. Die jungen Einheimischen setzen vorwiegend auf den Tourismus, da die Grosseltern zum Bewirtschaften der Felder fehlen. Es ist ein bedrückendes Gefühl, die vielen Meter hohen Geröllmassen mit dem Wissen, dass darunter ein ganzes Dorf begraben liegt, zu überqueren.

So allgegenwärtig die Schicksale sind, so fest freuen sich die Einheimischen und wir uns über die gemeinsamen Begegnungen. Der Newar mit traditioneller Mütze und Dolch, der auf seinem Weg halt macht und uns die richtige Umrundung der Manimauer erklärt. Die Köchin im Guesthouse, die uns täglich Geschichten auf Nepali erzählt. Unser selbstbewusstes «Tapaiko naam ke ho?» – Wie heisst Du? – scheint sie von unseren Sprachkünsten zu überzeugen. Zum Frühstück gibts Tibetan Bread, Nescafé und eine Nase voll Weihrauch. Die Köchin dreht ihre morgendliche Runde mit einem Topf rauchender Tujazweige. Vom Altar zum Dining Room, weiter in die Küche und zurück zum Buddha. Dabei murmelt sie in leisem Singsang ihr Mantra. Dort der Mann, der morgens singend im Hauseingang sitzend sein Ritual ausführt. Vor ihm eine Schale voll Flüssigkeit. Er füllt den Löffel, leert ihn zurück in den Topf. Füllt ihn. Leert ihn. Füllt ihn. Leert ihn. In völliger Ruhe und Konzentration. Winkt uns mit einer kurzen Handbewegung freudig zu sich herein. Füllt ihn. Leert ihn. Singt dazu sein Mantra. Die Melodie begleitet uns den Rest des Tages.